Gewalt gegen Hunde im Namen des Gesetzes?
Stellungnahme zum „Skandal-Video“ aus Leipzig „Beamte schlagen bei Schulung auf Hund ein“
Über die Autorin
Sissy Leonie Kreid
Sissy Leonie Kreid hat in den Niederlanden Tierwissenschaften studiert. Nach einer Ausbildung zum Coach für Menschen mit Hund bei Martin Rütter hat Sie sich 2015 mit Akademie Hund als Hundetrainerin selbständig gemacht. Seitdem ist Sissy als Dozentin, Ausbilderin, Trainerin & Coach für Mensch-Hund-Teams tätig.
Über die Autorin
Sissy Leonie Kreid
Sissy Leonie Kreid hat in den Niederlanden Tierwissenschaften studiert. Nach einer Ausbildung zum Coach für Menschen mit Hund bei Martin Rütter hat Sie sich 2015 mit Akademie Hund als Hundetrainerin selbständig gemacht. Seitdem ist Sissy als Dozentin, Ausbilderin, Trainerin & Coach für Mensch-Hund-Teams tätig.
Liebe Leserin, lieber Leser,
vermutlich mache ich mir mit diesem Artikel nicht nur Freunde. Aber vielleicht kannst du ja – auch wenn du schon bei der Überschrift „Puls“ bekommst, doch die Zeit nehmen, meinen Artikel in Ruhe zu lesen. Und vielleicht fällt dir am Ende auch auf, dass der ein oder andere Punkt vielleicht doch richtig sein könnte. Ich wünsche es mir auf jeden Fall. Für Dich. Für mich. Und für jeden Hund, der mit uns auf dieser Welt lebt.
In den Medien ist ein Video aufgetaucht, in dem zwei Polizistinnen dabei gefilmt werden, wie sie im Rahmen eines Lehrgangs der Polizei mit Stöcken auf einen Schäferhund einschlagen.
Die Originalquellen findest du hier:
Da das Video an vielen Stellen bereits offline genommen wurde, haben wir es für dich gesichert. Quelle und Copyright zum Video: https://www.facebook.com/349462015209295/videos/1137806423342987/
Eine Vorwarnung: für alle, mit viel Empathie und Einfühlungsvermögen, empfiehlt es sich wohl, nur den Artikel zu lesen und sich das Video zu ersparen.
Als ich das Video ansehe, schnürt sich mein Hals zu, ich bekomme ein Druckgefühl auf dem Brustkorb, mein Augeninnendruck steigt. Ich bin gefühlsmäßig im Schleudertrauma zwischen Wut, Trauer, Mitgefühl für den Hund und blankem Entsetzen.
Hunde schlagen um Hunde gegen das Geschlagen-Werden auszubilden…
Die Verantwortlichen Personen beschreiben die Situation im Video als notwendig. Der Hund soll dazu ausgebildet werden, auch eine Person zu stellen und zu halten, die sich durch Schläge gegen ihn wehrt.
In der Berliner Morgenpost wird aus der Stellungnahme der Polizei zitiert, dass
„Das Einwirken durch Schläge mit einem sogenannten Softstick ist nur in einem Übungs- und Prüfungsszenario für Schutzhunde, welches den Überfall eines Täters simuliert, vorgesehen“
sei. Die Person im Schutzanzug soll eine flüchtende Täterin darstellen.
Darstellung der Polizei: der Sprecher der Polizei versucht, das gewaltsame und brutale Verhalten durch den Begriff „Softstick“ zu verharmlosen.
Meine Meinung: es ist im Video deutlich zu erkennen, dass der „Softstick“ einer Reitgerte sehr ähnlich ist. Damit geschlagen zu werden ist sehr, sehr schmerzhaft. Falls mir an dieser Stelle nicht zustimmt werden sollte, können wir das gerne mit einem Selbstversuch prüfen und dann das Fazit verifizieren.
Wenn es darum ginge, dass der Hund weiter festhalten soll, obwohl die Person, die er hält, sich wehrt, stellt sich die Frage, warum die Diensthundeführerin, die ihm deutlich das Signal zum Packen gibt, auch auf den Hund einschlägt.
Der Hund deutet im Video auch an, gegen die Diensthundeführerin zu gehen. Anmerkung: das ist definitiv kein gutes Zeichen für das Vertrauensverhältnis zwischen Diensthund und Hundeführerin.
Im Video wird aus meiner Trainersicht nicht begreifbar, was die „Täterin“ und die Diensthundeführerin durch ihr Verhalten jeweils trainerisch erreichen wollen oder sollen. Wollen sie den Hund zum Ablassen bringen oder zum Zubeißen? Auch aus dem „Anfeuern“ durch die männlichen Kollegen im Hintergrund wird dies nicht ersichtlich.
Nebenbei erwähnt: Es wäre absolut möglich, ohne den Hund zu schlagen, den Hund so zu trainieren, dass er auf Kommando zupackt und nicht mehr loslässt.
Deshalb befürworte ich es weiterhin nicht, Hunde in privater Hand auf sogenannten „Schutzdienst“ zu trainieren, sehe jedoch ein, dass es im Polizeidienst notwendig sein kann!
Aus lernpsychologischer Sicht betrachtet wäre diese Form des Trainings auch sicherer und zuverlässiger, da die Gefahr, dass der Hund sich auch gegen seine Diensthundeführerin wendet, um sich gegen ihre Schläge zu wehren, eliminiert werden kann.
Hunde auf sogenannten „Schutzdienst“ trainieren – nichts, das ich pauschal befürworten würde – und doch weiter verbreitet, als man gemeinhin meint…
Genaues hinhören macht das Versagen der Hundeführerin deutlich…
Wenn man im Video zuhört, dann hört man heraus, dass die Signale „Pack“ und „Aus“ für den Hund von der Führerin gerufen werden. Eine Frau ruft immer wieder „Aus“, währenddessen schlagen abwechselnd und gleichzeitig beide Frauen auf den Hund ein. Dabei ist nicht immer klar, ob es die „Täterin“ oder die „Führerin“ ist, die das Signal jeweils rufen.
Es wird bis zum Schluss nicht ersichtlich, ob der Hund hier geschlagen wird, damit er „Aus“ macht, oder um ihn trotz des „Aus“ weiter zu animieren, nicht loszulassen.
Das Verhalten ist trainerisch unlogisch weil:
- Ein Hund soll eine Person stellen und diese Person wehrt sich. Angenommen, das Anliegen der Ausbildung wäre, dass der Hund auch dann festhält, wenn sich jemand wehrt, warum schlägt die Hundeführerin ihren Hund, obwohl er das Kommando ausführt, das sie von ihm verlangt? Es wäre nur dann logisch, wenn eben nur die „Täterin“ schlagen würde, um die Aggressivität des Hundes zu steigern.
- Eine andere Annahme: Der Hund soll eine Person stellen und er soll jetzt bestraft werden weil er „zu wenig aggressiv“ ist: jetzt dürfte nur die Führerin ihn schlagen – nämlich wenn er loslässt. Die Führerin schlägt ihren Hund, während er zubeißt.
- Angenommen der Hund soll loslassen, weil es die Hundeführerin ist, die „Aus“ sagt, und er von ebendieser geschlagen wird, um ein Loszulassen zu erwirken, dann ist das Training hier unpassend gewählt. Denn, man kann im Video erkennen, dass er auch dann nicht loslässt, als die „Täterin“ nicht mehr zuschlägt. Das bedeutet, der Hund beherrscht das „Aus“ auch ohne Wehrhaftigkeit der Täterin noch nicht. Vor allem aber ist es kontraproduktiv ihn zu schlagen, um ein Loslassen zu erreichen, weil der Hund doch so lernen würde, bei Schlägen loszulassen, statt weiter festzuhalten. Es würde also das Gegenteil von dem lehren, was der Sprecher der Polizei als Statement abgegeben hat. Ihn nämlich zu schlagen, um ihn aggressiver zu machen.
- Wenn der Hund geschlagen wird, um sich noch aggressiver zu verhalten, aber als Diensthund dennoch „maximal kontrollierbar“ bleiben sollte (das sollte doch zu hoffen sein, wenn ein Diensthund doch eben im Dienst geführt werden soll), dann bedarf es vor allem großes Vertrauen zwischen Hund und Hundeführer.In, um durch den/die Führer.In weiterhin kontrollierbar zu bleiben. Allen Gesetzen der Vernunft zufolge wird jedwedes Vertrauen durch die Schläge durch die Führerin geschwächt.
Tierschutzwidriges Verhalten – von der Polizei vorgemacht
Das gesamte Szenario zeigt also einen tierschutzwidrigen, absolut nicht nachvollziehbaren Tathergang (ich verwende hier bewusst den Begriff „Tathergang“ denn kein anderes Wort würde hier passen), der den Hund im besten Falle nichts, im schlechtesten Falle aber gelehrt hat, dass man Schlägen nicht entgehen kann, weder durch zubeißen, noch durch ablassen.
Im Video ist vollkommen klar zu erkennen, dass das Schlagen – auch durch die Diensthundeführerin – von vornherein geplant war und nicht als „Notwehr“ oder „Affekt“ gelten kann.
Wichtig in der Kommunikation mit unseren Hunden: Eindeutigkeit und Klarheit
Menschen sind Meister in körpersprachlicher Ungenauigkeit und auch in verbaler Ungenauigkeit. Unsere Hunde sind Meister im „Übersetzten menschlicher Ausdrucksformen“. Dank dieser Fähigkeit klappt die Kommunikation zwischen Mensch und Hund so gut – nicht, weil wir Menschen so eindeutig und klar lesbar sind, sondern weil unsere Hunde uns so gut zu verstehen lernen.
Darum habe ich mir die Mühe gemacht, mal genau hinzuhören, welche Worte in diesem Video alles gerufen werden und versucht, diese für dich zu übersetzen:
- „Druff“ (Bedeutung: schlag den Hund endlich)
- „Pack“ (Kommando für das Zubeißen, gegeben von der Hundeführerin)
- „Druff“ (Bedeutung: schlag den Hund endlich)
- „Richtig Druff“ (Bedeutung: schlag den Hund noch fester)
- „Nicht rumstehen“ (Bedeutung: schlag jetzt endlich deinen Hund)
- „Los, jetzt nochmal – nochmal“ (Du hast noch nicht genug geschlagen)
- „Platz“ (Wird von einem Mann im Hintergrund gerufen, Bedeutung vermutlich: Kommando um den Hund abzulenken)
- „Hör auf“ (Wird von einer Frau gerufen, Bedeutung unklar, möglicherweise „Täterin“ oder „Hundeführerin“)
- „Hau ihn“ (Bedeutung: schlag noch mehr zu)
- „Mensch mach druff jetzt das Vieh“ (Wird wieder von einem Mann im Hintergrund gerufen. Bedeutung: Schlag deinen Hund – den Partner, dem du vertrauen sollst und der dir vertrauen soll, endlich noch mehr. Korrektur: Schlag das „Vieh“ endlich noch mehr!)
- „Hammas dann amal“ (Männerstimme im Hintergrund, gerichtet gegen die Diensthundeführerin, als dieser der „Softstick“ aus der Hand fällt, weil der geschlagene Hund sich auch gegen sie richten will. Bedeutung: Kollegin, du nervst jetzt aber. Korrektur: herablassend: Kollegin, du hast es echt nicht drauf mit dem Schlagen!)
- „Aus“ (Weibliche Stimme, Bedeutung: lass die Täterin los – gleichzeitiges Schlagen des Hundes)
- „Los“ (Weibliche Stimme, Bedeutung: weiß ich nicht. Mögliche Bedeutung: entweder ein zweites Wort für „Aus“, oder der Hund sollte nicht loslassen sondern zupacken, wobei das ebenso schlecht wirkt wie „Aus“, da der Hund auf das Signal erneut zubeißt!)
Und, findest du auch, dass das in einer Trainingssituation eine klare, trainingsorientierte, kollegiale Kommunikation ist?
Was uns das Tierschutzgesetz dazu sagt
Kurzer Exkurs ins Tierschutzgesetz:
§ 3 Ziffer 5: Es ist verboten ein Tier auszubilden oder zu trainieren, wenn damit erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind.
Dieses Gesetz gilt in Deutschland für alle Menschen, die mit Tieren arbeiten. Auch die Polizei muss sich daran halten.
Im Video ist klar zu erkennen, wie mit einer Rute – Pardon „Softstick“ – auf einen Hund eingeprügelt wird, laut Aussage der Polizei „nur zu Trainings- und Prüfungszwecken“. Eine Information für Pressesprecher: der Begriff „nur“, der die Schläge auf Training und Prüfung zu beschränken versucht, bildet meiner Meinung nach keine gesetzmäßige Ausnahmeregelung.
Deshalb bleibt nun als größtes Entsetzen bei mir, dass laut Berliner Morgenpost die Ermittlungen wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz gegen alle Beamten eingestellt wurde, da sich kein Straftatverdacht ergeben haben soll.
Fassungslosigkeit meinerseits…
Das macht mich tatsächlich fassungslos, denn inwiefern, stelle ich mir die Frage, kann sich hier kein Straftatverdacht ergeben haben?
- Wird hier vermutet, dass es dem Hund keine Schmerzen bereitet, wenn er mit einer Rute geschlagen wird?
- Welche Art Gefühl / körperliches Empfinden löst das Geschlagenwerden mit einer Rute dann laut Sachbearbeiter aus, das den Hund veranlassen soll, aggressiver zu reagieren?
- Inwiefern besteht keine Verletzungsgefahr und damit einhergehende mögliche Leiden durch die Ausbildungsform, wenn ein Hund mit „Softstick“ in der Ausbildung geschlagen wird?
- Welche Außenwirkung hat das auf Hundebesitzer.Innen, Hundetrainer.Innen im Bezug auf Gewalt in der Hundeerziehung?
Für mich wirkt das, als würde hier ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz im Namen des Gesetzes / zum Schutze der Polizei gerechtfertigt und die Augen vor einem Straftatbestand verschlossen.
Mich würde interessieren, welche Sachkunde der Sachbearbeiter des Falles hatte, der keinen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz gesehen hat und die Ermittlungen einstellen ließ.
Derzeit wird laut Berliner Morgenpost noch geprüft, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliegen könnte.
Hunde…dein Freund und Helfer…
Hunde tun so einiges für uns Menschen…und erdulden noch mehr
Hunde sind empfindsame Wesen.
Wissenschaftliche Studien der letzten ca. sechzig Jahre haben in vielen verschiedenen Facetten gezeigt, dass Hunde nicht nur körperliche Schmerzen empfinden können. Ihre Ähnlichkeit mit uns Menschen hat sie sogar zu beliebten Modelltieren in der Psychologie gemacht.
Jeder Hundeliebhaber ist überzeugt, dass ein Hund Freude, Leid und Schmerz empfinden kann und dass Vertrauen in der Beziehung zwischen Mensch und Hund eine erhebliche Rolle spielt.
Die Instrumentalisierung des Hundes im Video, die auch durch die zu hörenden Worte deutlich wird, und das hemmungs- und empathielose Zuschlagen zeichnen ein Bild von altmodischen, unfachlichen und unverantwortlichen Methoden in der Ausbildung von Diensthunden bei der deutschen Polizei.
Ich möchte nicht davon ausgehen, dass dies der alltägliche Trainingsumgang mit Hunden bei der Polizei ist und es handelt sich hierbei hoffentlich um einen Einzelfall. Doch sollte dies der Fall sein, so wäre es notwendig, dass in einem Verfahren gegen die Verantwortlichen vorgegangen wird und damit die Polizei auch öffentlich ein Zeichen setzt, indem solche „Ausbildungsmethoden“ nicht geduldet werden.
Für gut befunden?
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Würde mich über einen Anruf freuen. Hätte mit Dir viel zu besprechen.
Hallo Bernd,
melde dich gerne bei mir, meine Emailadresse, genau wie meine Telefonnummer stehen hier auf der Website.
Alles Gute!